Veranstaltung: | LDK Thüringen 2018 |
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Tagesordnungspunkt: | 7 Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Sebastian Götte (Weimar-Stadt KV) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 01.11.2018, 10:59 |
V 02: Regionalen Wohlfahrtsindex für Thüringen fortführen – Für einen realistischeren Wohlstandsbegriff
Antragstext
Die Landesdelegiertenkonferenz möge beschließen:
Wir fordern die Regierungskoalition dazu auf, die im Koalitionsvertrag
festgeschriebene Wirtschaftsberichterstattung anhand alternativer
Indikatorensysteme schnellstmöglich umzusetzen. Der Thüringer Landesverband von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzt sich dabei für die Neuberechnung des "Regionalen
Wohlfahrtsindex (RWI)" ein, für den bereits in 2013 veröffentlichte Daten für
Thüringen existieren. Durch ihn können rein ökonomischen Kennziffern wie dem
Wirtschaftswachstum in der öffentlichen Diskussion solche entgegen gestellt
werden, die von einem facettenreicheren Wohlstandsbegriff in Thüringen ausgehen.
Der "Regionale Wohlfahrtsindex Thüringen" kann dabei helfen, das veraltete rein
wachstumsorientierte Paradigma durch eine realistischere Beschreibung von
Wohlstand abzulösen.
Begründung
Menschen brauchen Orientierung. Deshalb verhalten sie sich meist so, wie sie es um sich herum sehen: in der Nachbarschaft, in der Gemeinschaft, von medial vermittelten Vorbildern. Sie sind einen großen Teil ihres Lebens Konsument*innen und folgen als solche der uneingeschränkten Wachstumslogik, weil es seit Jahrzehnten gelernte Praxis ist, an der sie sich orientieren. Dieses Verhalten wird immer wieder gefestigt durch die Tatsache, dass Diskussionen darüber, wie gut oder schlecht es Deutschland geht, sehr häufig entlang von rein ökonomischen Kennzahlen – klassischerweise BIP oder Wachstumsraten – geführt werden. Dabei ist längst allzu bekannt, dass Wirtschaftswachstum heute nicht mehr die Antwort auf die gesellschaftlich drängendsten Fragen ist: die Überlastung unserer Lebensräume, die immer ungerechtere Einkommensverteilung, der gesellschaftliche Zusammenhalt, um nur drei zu nennen.
Politik hat die Aufgabe und Möglichkeit, solche Orientierungssignale zu ändern, wenn sie die Gesellschaft in eine falsche Richtung führen. Als ein alternatives Orientierungssignal wurde von Prof. Hans Dieffenbacher an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft / Institut für Interdisziplinäre Forschung in Heidelberg der Nationale Wohlfahrtsindex für Deutschland (NWI) entwickelt.1 Er basiert auf einem umfassenderen Wohlstandsbegriff. Neben wirtschaftlichen Kennziffern beinhaltet er deshalb zum Beispiel auch den Wert ehrenamtlicher Arbeit, Ausgaben für Gesundheits- und Bildungswesen, negative oder positive Effekte auf die regionale Biodiversität sowie Schäden durch nicht-erneuerbare Energieträger, Luftverschmutzung oder Lärm. Er wird im Auftrag des Umweltbundesamtes in regelmäßigen Abständen für Deutschland berechnet.
Neben dem NWI können auch die Bundesländer ihre eigenen Regionalen Wohlfahrtsindizes ermitteln lassen. Für Thüringen wurde dieser im Jahr 2013 einmalig berechnet – auf Betreiben der GRÜNEN. Dieser zeigte ein deutliches Auseinanderklaffen zwischen der Wirtschaftsentwicklung und der Lebensqualität in Thüringen: Während das BIP im Betrachtungszeitraum leicht stieg, sank die Wohlfahrt. Dies konnte unter anderem darauf zurückgeführt werden, dass Maßnahmen mit positivem wirtschaftlichem Einfluss, wie z. B. Flächenversiegelungen, zu wirtschaftlichen Schäden durch Hochwasser führten. An diesem Beispiel ist zu erahnen, wie komplex die Betrachtung von Wohlfahrt in diesem Index ist – weil sie es auch in der Realität ist.
Um wirkliche Orientierung zu bieten, muss ein solcher Index jedoch regelmäßig berechnet und publiziert werden. Wie die Zeit gezeigt hat, war die einmalige Berechnung ein gutes Signal, dass eine andere Betrachtung von Wohlstand möglich ist – das jedoch schnell wieder verpuffte. Die Regierungskoalition aus DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat deshalb in ihrem Koalitionsvertrag von 2014 festgeschrieben:
„Die Koalition will – in Anerkennung unterschiedlicher Positionen – prüfen, wie in die Wirtschaftsberichterstattung des Landes auch andere Indikatorensysteme, z.B. der Regionale Wohlfahrtsindex (RWI), aufgenommen werden können. Über die Ergebnisse der Prüfung wird in geeigneter Weise informiert, um eine öffentliche Debatte zu ermöglichen.
Dazu soll ein alternativer Index erarbeitet werden, um eine öffentliche Debatte über notwendige Indikatoren gesellschaftlicher Berichterstattung und die Aussagekraft des BIP zu ermöglichen und am konkreten Modell weitere Schritte zu prüfen.“2
1 vgl. z. B. Dieffenbacher et al. (2016): Aktualisierung und methodische Überarbeitung des Nationalen Wohlstandsindex 2.0 für Deutschland 1991 bis 2012. Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt.
2 „Thüringen gemeinsam voran bringen – demokratisch, sozial, ökologisch. Koalitionsvertrag zwischen den Parteien DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für die 6. Wahlperiode des Thüringer Landtags“, S. 16 (https://gruene-thueringen.de/wp-content/uploads/2017/05/r2g-koalitionsvertrag-final.pdf, zuletzt abgerufen am 28.10.2018)
Unterstützer*innen
- Kreisverband Weimar (MV-Beschluss) (KV Weimar)
- Anja Siegesmund (KV Jena)
- Robert Bednarsky (KV Erfurt)
- Burkhard Becker (KV Erfurt)
- Laura Wahl (KV Erfurt)
- Roberto Kobelt (KV Erfurt)
- Jörg Knieling (KV Erfurt)
- Doreen Rath (KV Altenburger Land)